Nach meinem Reisli nach Djibouti bleibe ich nur noch einen Tag in Addis. Danach geht’s zügig Richtung Süden, Richtung Grenze zu Kenia. Es soll nicht die klassische Route via Moyale werden, welche auch der Schwerverkehr benutzt, sondern die unberührte, malerische, aber anspruchsvolle Strecke via Omo Valley und dann entlang des Turkana-Sees.
Meine erste Etappe führt mich in zwei Tagesreisen nach Arba Minch. Diese Strecke bin ich während früheren Äthiopien-Aufenthalten bereits gefahren und deshalb verzichte ich auch hier wieder auf die klassischen Besichtigungstouren. Ab Arba Minch ist aber alles Neuland für mich. Und hier ist es auch, wo das wilde Äthiopien beginnt. Denn Arba Minch ist sozusagen der letzte Posten der Zivilisation auf den nächsten 900 Kilometern. Ich benutze die Gelegenheit und fülle alle Vorräte im Taxi auf: Diesel, Wasser, Nudeln, Coca Cola und alles was man sonst noch so braucht auf einer so langen Reise. Diesel soll es zwar auch im 100 Kilometer entfernten Konso sowie im 250 Kilometer entfernten Jinka nochmals geben, allerdings soll die Versorgung dort nicht immer reibungslos klappen. Sicher ist sicher, und so verlässt das Taxi vollgestopft mit 230 Litern Diesel und 75 Litern Wasser die Zivilistation. Zuerst geht’s noch ca. 150 Kilometer auf Asphaltstrasse weiter, dann ist Schluss mit lustig und die Strasse verkommt zu einer schlaglochübersäten Rumpelpiste. Hoffentlich steht mein Taxi dies durch… Mit jedem Kilometer verändert sich auch die Landschaft und das Klima: Es wird wärmer, feuchter und grüner. Bald führt die Strasse nicht mehr durch die karge Steppenlandschaft, sondern durch grünes Buschland und mitunter auch Regenwald. Und mit der Landschaft verändern sich auch die Menschen: Ihre Hautfarbe wird dunkler und ihr Aussehen zunehmend afrikanischer. Und die ersten traditionell gekleideten Menschen trifft man an. Traditionell gekleidet bedeutet nichts anderes als halbnackt – Männer wie Frauen. Die Kinder sind bis zum Alter von etwa zehn Jahren sogar splitternackt. Es ist spannend zu beobachten, wie sich hier über die Jahrtausende eine völlig andere Schamkultur als in Europa entwickelt hat, denn offensichtlich fühlt sich hier niemand zu leicht bekleidet oder spürt sogar Schamgefühle, auch nicht neben der ansehnlichen Anzahl von einheimischen Menschen, die sich mittlerweile westlich bekleiden. Im Gegensatz zu den Kleidern wird aber beim Körperkult nicht gespart. Menschen beiderlei Geschlechts sind mit unzähligen Körperbemalungen, Federn, Kuhhörnern, Tattoos, Tellerlippen und vielen weiteren, in westlichen Augen eher ungewohnten Schmuckstücken ausgestattet. Viele Männer tragen zudem eine AK47 und um die Lende einen Munitionsgürtel, wohl zur Unterstreichung ihrer Männlichkeit. Ja, die Völker hier sollen eher kriegerisch sein, und es soll auch regelmässig zu Schiessereien zwischen den Stämmen kommen, hauptsächlich im Streit um die knappen Wasservorräte.
In Turmi, rund 90 Kilometer vor der kenianischen Grenze, warte ich noch auf ein englisch/spanisches Paar, welche mit mir im Taxi die Turkana-Route fahren. Nach einigen Tagen Aufenthalt, geht’s dann los. Wir kaufen nochmals einige Nahrungsmittel und vor allem Frischgemüse ein und fahren am ersten Tag via Omorate, wo die äthiopischen Ausreiseformalitäten erledigt werden, nach Illeret, etwa 20 Kilometer hinter der kenianischen Grenze. Von der Grenze merkt man aber nichts. Die Einreise in Kenia erfolgt entsprechend auch illegal. Theoretisch hätte man drei Tage Zeit, um den Stempel in Pass in Nairobi zu besorgen. Innerhalb dreier Tage schafft mans aber wohl nur im Hubschrauber nach Nairobi. Die Piste ist einsam, nur gerade ein Landcruiser und zwei Motorräder kommen mir auf den 110 Kilometern zwischen Omorate und Illeret entgegen. Auch die Landschaft verändert sich: Trocken und heiss. Wir sind wieder in einer Wüste. Zum Glück ist die Piste sandig. Das braucht zwar viel Sprit und manchmal muss man richtig Vollgas geben, um durch Tiefsandpassagen durchzukommen, aber es schont Reifen und Mechanik. Nach Illeret fahren wir dann durch den Sibiloi Nationalpark. Dies ist der abgelegenste Park in ganz Kenia und nur wenige Touristen schaffen es hierher. Freudig werden wir von den Parkrangern empfangen, denen die Abwechslung sichtlich Freude bereitet. Sie schenken uns Biscuits und wir ihnen Cola. In einem Guesthouse des Parkoffice können wir dann auch übernachten. Dies ist auch eine gute Idee, denn um den Park herrscht ein ständiger, orkanartiger Wind, der es nicht Zulässt, das Dachzelt zu öffnen. Wir übernachten nur wenige Meter vom See entfernt in idyllischer Umgebung: Rund um uns grasen Zebras und Antilopen und im See achten die Flamingos darauf, nicht auf dem Speiseplan eines der zahlreichen Krokodile zu landen. Erstmals fühle ich mich richtig im Subsahara-Afrika. Alles typisch irgendwie.
Am nächsten Tag geht unsere Reise nach Loyangalani, dem „Hauptort“ entlang des Turkana-Sees. Seit Illeret ist die Strasse immer schlechter geworden. Ob das Wort Strasse noch adäquat ist, bezweifle ich. Manchmal geht’s durch mehrere hundert Meter lange Geröllhalden, manchmal sind die handballgrossen Steine etwas zur Seite geräumt, manchmal auch nicht. Das Taxi wird durchgeschüttelt und ich mache mir Sorgen um die Reifen, aber sie halten – noch. Zudem berühren dutzende Steine den Unterboden des Taxis, trotz grosser Bodenfreiheit. Und die Heckstossstange des Taxis bewährt sich bei den vielen steilen Flussausstiegen öfters mal als Pflug.
Auf halber Strecke nach Loyangalani zeigt sich der See dann von seiner schönsten Seite: Türkisblaues Wasser und eine Steppenlandschaft mit hellem Sand, Pelikanen, traditionell gekleideten Menschen in ihren ursprünglichen Dörfern. Abgesehen von den wenigen Reifenspuren im Sand deutet hier nichts darauf hin, dass es weit entfernt eine moderne Welt mit Technik und gestressten Menschen geben würde. Die ganze Kulisse wirkt wie nicht von dieser Welt. Wir sind völlig fasziniert. An diesem Tag begegnen wir auch keinem einzigen anderen Fahrzeug.
In Loyangalani gibt es wieder minimale Infrastruktur – und, wir haben nicht daran geglaubt – eine Mobilfunknetzantenne und einen Shop der Simkarten verkauft. Den Abend verbringen wir dann nach fast zweiwöchiger Abstinenz hauptsächlich mit Whatsapp, Facebook und Viber. Wir spannen einen Tag aus und erholen uns von den Strapazen der vorherigen Tage. Die Infrastruktur in Loyangalani lässt uns auch in dem Glauben, dass wir den Vorposten der Zivilisation auf kenianischer Seite erreicht haben und den schwierigsten Teil hinter uns haben. Erst später sollte sich zeigen, dass dies eine Täuschung war. Wir vermissen frisches Gemüse und Früchte und es gibt hier ausser Kohl, dem man den tagelangen Transport anmerkt, auch nichts zu kaufen. An den trockenen Ufern des alkalischen Turkana-Sees wächst nichts Essbares. Die lokalen Menschen leben hauptsächlich von der Viehhaltung.
Nach zwei Übernachtungen in Loyangalani brechen wir kurz nach Sonnenaufgang um sechs Uhr morgens auf mit dem Ziel Maralal. Dort soll es wieder gute Infrastruktur geben. Wir sind gespannt.
Die 230 Kilometer lange Strecke befindet sich zunächst auf einem sandig-guten Zustand. Aber nach wenigen Kilometern scheint sie auf jedem Meter schlimmer und schlimmer zu werden. Wellblechabschnitte wechseln sich nun mit Geröllhalden ab. Offenbar wurde versucht, die Piste allwettertauglich zu machen und man hat die Sandpassagen eliminiert, weil man dort bei Regen gerne steckenbleibt. Nun ja, das ist zwar besser fürs Durchkommen, dafür schlitzen die grossen Steine die Reifen auf und die Vibrationen zerstören das Fahrzeug. Bei uns tritt die Reifenpanne nach 40 Kilometern auf. Ein kleines Loch, ich kann es selbst reparieren. Der zweite Reifen ist dann bei Kilometer 165 dran. Diesmal ist das Loch so gross, dass es nur von innen verklebt werden konnte. So kommt das erste Reserverad zum Einsatz. Währenddessen wird die Piste immer schlimmer. Dazu kommt, dass das Gebiet berüchtigt für Banditen ist, man sollte also besser schnell als langsam durchfahren. Einige Male wird das Taxi dann auch so durchgeschüttelt, dass es mir richtig leid tut. Rund fünf Kilometer vor Maralal ist dann der dritte Reifen dran. Auf der Anzeige verliert er nur langsam Luft und wir schaffen es gerade noch rechtzeitig ins Yare Camel Camp. Einige Minuten später ist der Reifen komplett leer und das zweite Reserverad kommt zum Einsatz. Den nächsten Tag verbringe ich dann auch beim Reifendoktor, der beide defekten Reifen wieder zusammenflickt. Der eine muss vulkanisiert werden und hat über dem Loch einen neuen Profilblock erhalten. Erstaunlich, was die hier in Afrika so alles können. Zuhause hätte man die Reifen einfach entsorgt und mit Next-Day-Delivery zwei neue bestellt …
Die Infrastruktur in Maralal ist nicht ganz so gut wie erwartet und die Teerstrasse beginnt auch noch nicht hier. Ich muss am nächsten Tag nochmals 110 Kilometer auf schlimmer Piste fahren. Aber dann ists geschafft. Nach genau 1‘017 Kilometer beginnt mitten im Nirgendwo wieder die Asphaltstrasse. Was für eine Wohltat! Und nach einer weiteren halben Stunde bin ich in Thompson Falls, der ersten Stadt in Kenya, welche diesen Namen auch verdient. Obwohl noch weit von der Hauptstadt Nairobi entfernt, ist die Auswahl an Konsumgütern bereits viel grösser als in Äthiopiens Hauptstadt Addis Ababa. Es gibt wieder Milch, Käse, Yoghurt, Glacé, Schinken der auch wie Schinken schmeckt, Quark und viel anderes was der Gaumen begehrt. Dazu gibt es wieder Gemüse und Früchte. Ich mache einen Grosseinkauf und der Kühlschrank im Taxi platzt aus allen Nähten. Heute Abend gibt’s ein Festessen.
Nun bin ich im „richtigen“ Afrika angekommen und die grössten Hürden der Reise scheinen geschafft. Ab hier sind wieder mehr Touristen und auch mehr Overlanders anzutreffen. Entsprechend gibt es auch mehr Übernachtungsplätze und die Infrastruktur für Touristen wird wieder besser. In den nächsten Tagen steht mein erster Besuch eines der grossen Nationalparks in Kenya an, des Nakuru Nationalparks. Ich bin gespannt …
Konso-Dorf im südlichen Äthiopien
Ich werde beinahe genötigt, ein lokales Getränk zu kosten …
Besuch bei den Muris – dem kriegerischen Volk wo die Frauen Tellerlippen tragen (und nicht immer ganz Jugendrei sind ;-)
Auch dieser stolze Krieger wollte unbedingt auf eine Photo
Die Mursi trinken Blut, frisch von der Halsschlagader
Beim Hamer-Volk, die Anzahl Kugeln im Gürtel symbolisieren die Tapferkeit des Kriegers
Beim Stamm der Karo
Der Omo-Fluss
Bereits in Kenya – Turkana-Road
Auch hier gibts wieder sehr traditionell gekleidete Menschen
Gegensätze …
Die spitzigen Steine sind Gift für die Reifen
Hier handelt es sich nicht um Holz, sondern um fossile Versteinerungen von Baumstämmen
Sonnenuntergang am Turkana-See
Erstmals ein Hauch von Afrika: Tiere neben dem Übernachtungsplatz
An die Flamingos konnten wir bis auf 10 Meter heranfahren
Menschenleere Landschaften am Turkana-See
Die Piste zu erkennen, ist manchmal gar nicht so einfach
Meine Hosen waren auch schon sauberer – aber wen kümmert dies hier schon?!
Hey Lukas,
jedes Mal wenn ich deine neue Ausgabe lese, ich versinke mich mit diesen Bildern in eine neue Reise!
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Hallo Lucas,
schön, dass du dich gut nach Kenia durchgeschlagen hast. Muss eine eindrucksvoille Etappe gewesen sein. Waren nette Tage in Turmi.
Mit dem Mursi-Häuptling mit der Kalaschnikow auf deinem Bild haben wir übernachtet, ist ein netter Typ. In der Nacht hat es geschüttet und am nächsten Tag war das Dorf unter Wasser. Am Nachmittag konnten wir dann noch bei einer „Fat man ceremony“ zuschauen, sehr eindrucksvoll. Hin sind wir durch den Schlamm marschiert, nachdem sich unser Fahrer nicht durch eine Furt getraut hat. War Teil des Abenteuers.
Gute Weiterreise, herzliche Grüße aus Wien
Manfred
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