Äthiopien, eine neue Welt

Äthiopien könnte unterschiedlicher vom Sudan nicht sein: Man sieht plötzlich wieder Frauen in der Öffentlichkeit. Und sogar unverschleierte. Und man kann nicht mehr mit 90 über die schnurgerade und menschenleere Landstrasse düsen, denn plötzlich befinden sich auf der Strasse Menschenmassen, Eselskarren, Schaf-, Ziegen- und Rinderherden, Hunde, Hühner und ab und zu auch ein Auto. Und das Land ist auch nicht mehr topfeben. Es gibt Hügel, sogar Berge. Die Strasse führt auf Pässe von über 2000 MüM. Das Taxi stampft und schnauft und stösst wegen der dünneren Luft und dem nicht mehr optimalen Luft-Diesel-Gemisch schwarze Wolken unverbrannten Diesels aus dem Auspuff. Die Bergstrecken sind nicht so gut ausgebaut wie in den Alpen. Tunnels gibt es nicht und Brücken nur wenn es über einen Fluss geht. So ist die Strecke von der sudanesisch-äthiopischen Grenze bis nach Gondar, der ersten grösseren Stadt in Äthiopien, ein Rauf und Runter und nicht selten muss ich in den ersten Gang schalten, um einen Steilhang zu erklimmen. Dafür wird das Wetter angenehmer. Es kühlt auf angenehme 28 Grad ab.

In den nächsten Tagen unternehme ich einen Ausflug in den Simien-Mountains Nationalpark, dem höchsten Gebirge in Äthiopien. Meine Wanderung erstreckt sich während drei Tagen von 3300 bis auf knapp 4100 Meter über Meer. Das Gebirge befindet sich am Rand des Rift Valley, des Ostafrikanischen Grabenbruchs, und bietet hunderte Meter hohe und senkrecht abfallende Felswände, tiefe Schluchten, schroffe Felsklippen, Hochplateaus auf den unterschiedlichsten Höhenlagen und atemberaubende Aussichtspunkte. Auch die Vegetation ist spannend und ändert sich mit der Höhe: vom tropischen Klima in Gondar, alpinen Nadelwäldern in den mittleren Lagen bis hin zur kargen, ab und zu durch Riesenlobelien unterbrochenen Wiesenlandschaft auf 4000 Meter. In jedem Camp sind wir rund ein Dutzend Touristen aus den unterschiedlichsten Ländern. Nach dem Abendessen sitzen wir alle um das Lagerfeuer und tauschen Geschichten – hauptsächlich rund ums Reisen – aus. Bald wird es aber trotz Lagerfeuer eiskalt und alle verziehen sich in ihr Zelt. Bei Temperaturen um den Gefrierpunkt wünsche ich mir für einen kurzen Augenblick die Hitze des Sudan zurück.

Leider verkommt der Park mehr und mehr zu einer Touristenabzocke. Die Eintrittspreise sind horrend (selbst für westliche Verhältnisse) und man versucht mich ständig und überall mit frei erfundenen Gebühren und überhöhten Preisen über den Tisch zu ziehen. Insbesondere mein Guide denkt, dass ich ein wandelnder Cash-Automat bin. Zum Glück habe ich beim Parkoffice mit dem Handy eine Foto der offiziellen Preisliste gemacht und kann diese nun jedem unter die Nase halten, der mir zuviel abknöpfen will. Als mein Guide dann versucht, mir für das Parken meines Taxis auf einem Campingplatz im Nirgendwo rund 15 Schweizer Franken frei erfundene Parkgebühr abzuknöpfen (rund 30% eines durchschnittlichen einheimischen Monatsgehalts), reicht es mir. Ich lese ihm gehörig die Leviten und verweigere die Bezahlung, zumal ich für mein Taxi bereits im Parkoffice einen Obolus entrichten musste. Offensichtlich nimmt er mir das aber sehr übel, denn als ich am nächsten Tag zurückkomme, steht die Druckluftanzeige des vorderen linken Reifens auf 0.0 bar. Seine Freunde haben über Nacht wohl ganze Arbeit geleistet. Der Reifen ist aber völlig in Ordnung, nur die Luft ist draussen. Mein Guide und seine anwesenden Freunde freuen sich wahrscheinlich, einen Ferengi – so werden wir Westler in Äthiopien genannt – beim Reifenwechsel zuschauen zu können. Vielleicht hoffen sie sogar darauf, die Arbeit gegen eine überrissene Gebühr selber ausführen zu können. Sie rechnen aber nicht mit dem Kompressor, den ich im Auto mitführe und zum Erstaunen aller ist der Reifen nach 10 Minuten wieder flott – bis heute. Meinen Guide verabschiede ich ohne einen Cent Trinkgeld.

Nach der Hitze des Sudan und der Kälte und Höhe des Simien-Gebirges fühle ich mich müde. Der Temperatursturz von 40 Grad innerhalb von nur 48 Stunden hinterlässt seine Spuren. Ich beschliesse, für drei Tage zum Lake Tana, rund 65KM südlich von Gondar, zu fahren. Dort haben zwei Holländer, Tim und Kim, ein hübsches Resort aufgebaut und es „Tim&Kim Village“ genannt. Ausserdem ist es ein Treffpunkt für Overlander und ich hoffe, dort meine deutschen Freunde wieder zu treffen. Das kleine, familiäre Resort mit nur sieben Bungalows ist fantastisch: Die Rundhütten, welche trotz der traditionellen Bauweise allen Komfort bieten, liegen weit auseinander inmitten üppiger Vegetation und abgesehen von Vogelgezwitscher und dem Aufschlagen der Wellen des Tanasees ist es absolut ruhig. Abends sitzen alle Gäste an einem grossen Tisch und geniessen das köstliche Essen. Und so kommt es wie es kommen muss: Ich verlängere meinen Aufenthalt; aus den ursprünglich geplanten drei Tagen werden fast zwei Wochen.

In der Zwischenzeit sind auch David und Ana bei Tim&Kim eingetroffen. Nachdem sie die Hinterachse in Khartoum reparieren liessen, ging diese nach einer Tagesreise wieder kaputt und sie mussten nochmals nach Khartoum zurückkehren. Mittlerweile verliert diese aber nur noch wenig Öl und sie wagen die Weiterreise nach Addis Abeba, wo es eine Mercedes-Vertretung gibt, welche das Problem hoffentlich dauerhaft lösen kann.

Mittlerweile gilt es für mich, Abschied von Tim&Kim zu nehmen und meine Weiterreise anzutreten. Da ich Äthiopien bereits 2011 bereist habe, verzichte ich auf den klassischen Lonely-Planet-Trail. Stattdessen fahre ich auf der selten befahrenen Westseite des Lake Tana entlang nach Bahir Dar. Die Fahrt durch das Hochland Abessiniens mit seinen idyllischen Landschaften und  verträumten Dörfern kompensiert mehr als genug für die 260 Kilometer lange, staubige Rumpelpiste.
Von Bahir Dar geht’s am nächsten Tag auf einer langen Fahrt nach Addis Abeba, der Hauptstadt Äthiopiens, wo ich noch am gleichen Abend meine Freunde treffe. In Addis plane ich einige Wochen zu verweilen, um ein paar Reparaturen am Taxi vorzunehmen, Visa zu besorgen und einfach mal wieder die Infrastruktur einer Grossstadt zu geniessen…

 

Simien Mountain Nationalpark

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Camp in den Simien Mountains auf 3700 Meter über Meer

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Atemberaubende Aussichtspunkte

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Auch die Gellada-Baboons fühlen sich im Nationalpark wohl

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Tim&Kim Village – mein Zuhause für fast zwei Wochen

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Rund um den Tanasee findet man eine Vielzahl an Vögeln …

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… und skurilen Bäumen, farbenvollen Pflanzen und tropischen Früchten

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Die Fahrt durch das abessinische Hochland auf der Westseite des Tanasees

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Wo auch immer man anhält, sofort sammelt sich eine Kinderschar ums Taxi

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Auf dem Weg nach Addis: Terassenfelder im äthiopischen Hochland und Nilschlucht im Hintergrund

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1000 Meter runter und dann wieder 1000 Meter hoch: Schlucht des Blauen Nils

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Nicht alle überstehen das kurvige Hoch- und Runter unbeschadet

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4 Gedanken zu “Äthiopien, eine neue Welt

  1. Sieht cool aus mein Freund, wenn du wieder zurück bist leihe ich mir dein Gefährt und wasche es für dich in den Gletscherflüssen von Island ;-)

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